Kreuzberg 36 Chair

Ein Küchenstuhl zum Selberbauen aus Berlin-Kreuzberg

Viel mehr als ein Kiefernbrett und ein wenig Sperrholz bedarf es nicht. Der Kreuzberg 36 Chair ist ein Selbstbaumöbel, welches jeder Laie ohne aufwändige Maschinenapparaturen selbst herstellen kann.
Hochglanz für alle: In feuerrot (Farbcode: RAL 3000) lackiert wirkt dieses DIY Möbel schon fast wie eine kleine Diva.


Hartz aber herzlich
Der Kreuzberg 36 Chair kostet 36 Euro an Material, braucht 36 Arbeitsschritte und ist eine Liebeserklärung an den buntesten Bezirk Berlins: Kreuzberg 36. Den Bauplan gibt es kostenlos.

Die Materialien für den Kreuzberg Chair bekommt man in jedem handelsüblichen Baumarkt.




All you need is Holz: Und zwar ein Standard-Leimholz aus Kiefer (40cm x 80 cm). Aus diesem Brett lässt man sich die Teile zuschneiden, die für das Gestell benötigt werden. Und dazu drei dünne Schichtholzfurniere (4 mm) für die Sitzflächen zum Mitnehmen. Nein danke, keine Tüte erforderlich. Passt alles in den Fahrradkorb.

Ein Stuhl mit Migrationshintergrund

Links: Der Standard Chair von Jean Prouvé (1948) und rechts: Der Kreuzberg 36 Chair als Handskizze.

Entworfen wurde der Kreuzberg 36 Chair von Van Bo Le-Mentzel, einem Kreuzberger Architekten mit laotischen Migrationshintergrund. Motiviert wurde er von einem Kreuzberger Theaterhaus mit ungarisch-rumänischen Migrationshintergrund, welches dringend einen Selbstbau-Stuhl für eine Premiere brauchte.


Zwei Kreuzberg 36 Chairs im HAU1-Theater, gebaut von Bühnenbildnerin Barbara Ehnes und ihrem Team für das Musiktheater "Gang zum Patentamt" (Regie: Rüedi Häusermann). Foto: Ute Haufe
Der Prototyp entstand in einer Volkshochschule, einer Institution mit dänischem Migrationshintergrund. Inspiriert ist der Kreuzberger Küchenstuhl - kurz Kreuzberg Chair - von einem Stuhl mit französischem Migrationshintergrund (Standard Chair von Jean Prouvé) und einem Computer mit kalifornischen Migrationshintergrund (Macbook Pro von Jonathan Ive).

Auf Biegen ohne Brechen



Holz verbieg'n mit 'ner Schraubzwinge? 
Und dazwischen ganz viel Leim.
Ob das geht? Ich glaub ich spinne.
Doch! Die Wahrheit steckt im Reim.

Besonderes Highlight an diesem Möbel: Die geschwungene Form, die normalerweise einer aufwändigen Musterform bedarf oder unter heißem Dampf gebogen wird. Brauchen wir bei dem Kreuzberg Chair nicht.

Mit Abstand ein guter Sitzkomfort


Für ein beflügelndes Sitzen: Abstandhalter unter der Sitzfläche passen sich der Körpergröße seines Besetzers an und haben den wunderschönen Nebeneffekt, dass die Sitzschale leicht über dem Gestell schwebt.

Der Opa kommt aus Frankfurt

Links: Die Frankfurter Küche (1927, Schütte-Lihotzky) und rechts der Frankfurter Küchenstuhl (1935, Designer unbekannt)

Der Kreuzberger Küchenstuhl ist die Berliner Antwort auf den Frankfurter Küchenstuhl, der in den Dreißiger Jahren erstmals auftauchte und für viele zum Inbegriff eines modernen Küchenstuhls wurde. Wer ihn erfand, weiß man nicht. Einige vermuten, dass er aus dem Umfeld der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotsky stammt, der ersten erfolgreichen Architektin überhaupt. Margarete, die ursprünglich aus Ungarn kommt, erfand die Frankfurter Küche, und vieles davon hat sich bis in die heutige Zeit retten können: Zum Beispiel die Einbauküche. Na danke. Somit sind die Vorfahren des Kreuzberg 36 Chairs in Frankfurt zu suchen. Gewissermaßen ist der Frankfurter Küchenstuhl so etwas wie sein Großvater.

Der Kreuzberg Chair ist Teil der Hartz IV Möbelserie. Diese Möbel kann man nicht kaufen, nur selberbauen. Viele Volkshochschulen und offene Werkstätten in Deutschland bieten Kurse an, in denen der Kreuzberg Chair gebaut werden könnte.

Inspiration

Erst rund, dann kantig: Das Unibody-Gehäuse des Macbook Pro Notebooks war die Inspiration für die Kantenform der Sitzfläche.

Der Kreuzberger Küchenstuhl ist ein 'Best-Of' vieler Designikonen. Er eint:
• die Zeitlosigkeit eines Frankfurter Küchenstuhls (1935, Designer unbekannt)
• die Entschlossenheit eines Jean Prouvé (Standard Chair, 1924)
• die Detailverliebtheit eines Jonathan Ive (Macbook Pro, 2009)
• den Schwung eines Egon Eiermanns (SE 68, 1950)

Ausgezeichnet


Für die Taiwan Design Expo 2010, die im Dezember in Taipeh stattfand, hat das Goethe Institut in Kooperation mit dem Internationalen Designzentrum IDZ 20 deutsche Produkte gesucht, die für deutsche nachhaltige Gestaltung stehen. Der Kreuzberg 36 Chair wurde hierfür ausgewählt und in China einem internationalen Publikum präsentiert.
Design made in Germany - präsentiert in China. Das amüsiert mich, weil mein Vater als Chinese ja auch aus der Ecke kommt. Und somit ist der Entwurf des Kreuzberg 36 Chairs nicht ganz made in Germany, sondern im tiefsten Innern auch ein wenig made in China. Und der Kreislauf schließt sich ...
Mehr Infos zur Ausstellung "German Shades Of Green" hier: http://www.goethe.de/ins/cn/tai/prj/kuk/ked/nds/de6873359.htm

Erst schauste, dann bauste


So jetzt bist Du dran. Alles was Du an Werkzeug für den Bau des Kreuzberg 36 Chairs brauchst sind zwei Schraubzwingen, einen Akkuschrauber mit einem extralangen (!) 8mm Holzbohrer, eine Japansäge, Schleifpapier und eine CD von Peter Fox, oder andere Musik aus Kreuzberg.
 Erst schwitzen, dann sitzen: Van Bo Le-Mentzel sitzt nun endlich nach 36 harten Arbeitsschritten auf dem allerersten Kreuzberg 36 Chair.

Grün hinter den Sporen: Van Bo Le-Mentzel, der selbst weder über eine Tischlerausbildung noch über Werkzeug verfügt, freut sich über diese beiden Kreuzberg 36 Chair Modelle aus Fichteholz - nach seinen Entwürfen vom HAU Theater gebaut. Das Grün soll an traditionelle Küchenstühle erinnern. Foto: Ute Haufe